Ich habs geschafft! Ich bin auf dem Gipfel. Eine anstrengende Wanderung war das. Vielleicht darum, weil ich die letzte Nacht in einer Hängematte geschlafen habe, versucht zu schlafen ist treffender. Ich habe heute morgen nicht nur ausgesehen wie ein Nussgipfel, ich habe mich auch gefühlt wie einer. Es war meine erste, vielleicht, meine letzte Nacht in einer Hängematte.
Aber, ich wollte unbedingt den Berg hinauf heute. Den Berg, oberhalb von Minca in der Sierra Nevada de Santa Marta, im Norden von Kolumbien. Der sei der Wahnsinn, hat mir jemand begeistert erzählt. Und es war kein Holländer! Es war ein Ami aus Colorado in den Rockys. Wenn einer der sich an Bergen gewöhnt ist von Bergen schwärmt, dann ist das ein gutes Zeichen.
Minca
Ich bin von Palomino zurück nach Santa Marta und von dort in die Bergen der Sierra Nevada gereist, nach Minca. Ein Künstlerdorf. Unspektakulär, aber irgendwie noch eine glatte Stimmung. Eine Mischung aus Kartoffelsackhosen-Hippies und Wandervögel. Ich übernachte in einem Hostel etwas oberhalb. Schwer beladen mit meinem ganzen Karsumpel erreiche ich völlig verschwitzt meine Bleibe, sie wurde mir empfohlen. Die Sicht vom Hostel aus ist fantastisch! Unten das Dorf, rundherum Dschungelberge und von weitem ist Santa Marta und das karibische Meer zu erkennen. Eine Wucht! WiFi gibts keines hier oben. Das habe ich noch gerne ab und zu. Einfach mal ein bisschen sein, ohne daran zu denken, dass man die Zeit auch mit Social Media oder Reiseplanung im Internet nutzen könnte. Beim Einchecken sagt mir ein Bub, dass es nur noch Hängematten gäbe. Ich zögere, finde dann aber, dass ich das nun endlich mal ausprobieren sollte. Kostet dafür nur knapp ein Foifliiber die Nacht. Ich bin etwas skeptisch, kann mir einfach nicht vorstellen, dass man in einer Hängematte wirklich gut schlafen kann. Kann man nicht. Oder ich kann nicht. Diese blöden Hängematten sind viel zu nah nebeneinander gespannt. Wenn ich meine Beine nur ein bisschen einziehe, berührt mein Knie den Arsch meiner Nachbarin. Meiner etwas gar umfangreichen Nachbarin, muss ich fairerweise sagen. Geschlafen habe ich also kaum. Trotzdem wandere ich auf den Berg heute.
Es gibt einen breiteren, und einen abenteuerlichen Weg da rauf. Ich nehme den Breiteren. Da fahren auch Motorräder und geländegängige Auto rauf. Vorbei an kleinen Bächen und saftig grünen Blätter. Und Bambusgebüsche, oder wie man die nennt. Ein Bambusstamm oder Rohr ist etwa so breit wie Nöldi Schwarzeneggers Oberarme zu seinen besten Zeiten. Hier wachsen die so nebeneinander, Hunderte! Und so ein ganzer Bambusbusch ist etwa so breit und hoch wie ein Schweizer Durchschnitts-Einfamilienhaus. Der Wahnsinn!! Wenns windet, und sich die Stämme aneinander reiben, knarrt es immer so, ich liebe dieses Geräusch. Stehe jetzt schon minutenlang vor diesem Riesenbambusstrauch und finde es einfach nur toll.
Der Berg ruft
Drei Stunden später. Ich bin oben auf der Bergkante. Zu meiner Überraschung laufe ich direkt an ein Hostel. Ich wusste nicht, dass man da oben übernachten kann, dass es da so etwas wie Zivilisation gibt. «Aloha Ke Akua» heisst das Hostel. Oder, die Unterkunft. Denn die Besitzer wollen nicht, dass ihr Haus Hostel genannt wird, sagen sie mir später. Man merkt schnell, die Menschen die hier leben, sind irgendwie anders. Klar, sonst würden sie nicht so abseits der Zivilisation leben. So wie die Menschen die in der Schweiz eine SAC-Hütte führen irgendwo im Nichts, sind auch alle etwas eigen. Und das meine ich überhaupt nicht negativ! Finde das toll wenn das jemand will. So lange der Mensch das macht, was ihm Freude bereitet, finde ich alles toll. So lange er keinen Schaden anrichtet natürlich. Diese Mensche hier scheinen Selbstversorger zu sein. Gärten mit viel Gemüse und Kreuter. Die Küche ist im Freien, gekocht wird mit Feuer, geduscht aus einem ausgehöhlten Bambusrohr. Ich laufe am Haus vorbei, ein paar Schritte dem kleinen Weg entlang. Und dann, erlebe ich einer der ganz wenigen, ganz grossen Magic-Moments auf meinem Abenteuer. Eine wirklich, atemberaubende Sicht, weit in die Sierra Nevada de Santa Marta hinein. Ich kann das nicht so fotografieren, dass ihr wirklich versteht, wie krass dieser Moment grad ist.
Ich steh da, minutenlang, bin überwältigt. Plötzlich höre ich ein leises, dumpfes Hämmern. Es hallt in den Bergen. Ich geh in Richtung dieses Geräuschs, und sehe zwei Typen an der Arbeit. Sie sind oben ohne, braungebrannt und recht gut in Form. Die beiden sind gerade daran das Dach eines kleinen Häuschens aufzurichten. Sie bauen Bungalows, welche später als Mehrbettzimmer eingesetzt werden, erfahre ich später. Das wird die wohl schönste Aussicht auf einem Dorm auf der Welt. «Ou hey, Welcome!», ruft mir der Typ auf dem Dach zu. «Wanne stay here?» Das würde ich ja wahnsinnig gerne, aber ich habe ja schon eine Bleibe, rufe ich zurück. Diese zwei Typen, der eine aus Kanada, der andere aus den USA, bauen dort oben grad eine Farm auf, wie sie es nennen. Dieses Haus werde nie auf booking oder tripadvisor.com erscheinen. Denn sie wollen niemanden hier oben, der zufällig auf sie stösst. Sondern nur Menschen, die wissen, was auf sie zukommt, wenn sie im Aloha Ke Akuha buchen. Menschen, die sich selber spüren wollen, und mal weit weg von Stress und Hektik, Selbstversorger sein wollen. «Und das an einem der schönsten Orte der Welt», schwärmt Benjamin, der Kanadier. So was von wahr, denke ich mir. Benjamin und sein Kumpel haben jahrelang ein Ort gesucht, um so eine Farm aufzubauen. Hier im Norden von Kolumbien sind Sie fündig geworden und dieses Stück Land gekauft. Benjamin ist mit einer Kolumbianerin verheiratet. Sonst wäre das nicht möglich gewesen.» Als Ausländer kannst du das vergessen», meint er. Ich hätte Lust, hier ein bisschen zu bleiben, mich nur von Sachen zu ernähren, die hier wachsen. Aber, ich muss. Zwei Stunden habe ich mit den zwei Typen geplaudert. Ich möchte noch bevor es dunkel wird zurück sein. Ich laufe der Bergkante entlang, zu einem Aussichtspunkt zwischen zwei Tannen. Hier sieht man runter, auf die andere Seite, in Richtung Santa Marta. Auch diese Aussicht, sie ist unvergesslich schön.
Die Sonne ist bereits rötlich und nähert sich den grünen Hügel, als ich mich auf den Rückweg mache. Ich nehme den abenteuerlichen Weg zurück. Zwei Stunden durch den tiefen, buschigen Dschungel. Auf einem Pfad, ziemlich genau wie ein Schweizer Bergwanderweg. Einer der schmaleren Sorte. Steinig, steil, richtig Adentschoor! Überrascht wurde ich von Zivilisation. Da leben tatsächlich Menschen, kilometerweit weg von Strassen und noch viel weiter weg von Einkaufsmöglichkeiten. Mit etwas Motorisiertem hast du keine Chance zu diesen drei-vier Häuser am Hang zu gelangen. Vor einem stallähnlichen Gehäus sitzt eine ältere Frau, so um die siebzig. Ich glaube die war schon Jahrzehnte nicht mehr weg von diesem Ort. Ich frage sie, mit meinem sehr dünnen Spanisch-Wortschatz, was sie denn hier macht, warum dass sie so abgeschieden lebt. Sie schaut mich an wie ein Fragezeichen und lächelt. Immerhin. Entweder hört sie gar nichts mehr, oder sie hat mich nicht verstanden. Auf jeden Fall ist da kein Gespräch zu Stande gekommen. Aber manchmal finde ich es auch spannend, nur über die Geschichte eines Menschen nachzudenken. Warum ist der dort, was hat er sein Leben lang gemacht, was waren seine Höhepunkte in seinem Leben. Spannend. Es ist schon fast ganz dunkel als ich bei meinem Campingplatz ankomme. Ach ja, ich habe meine Bleibe gewechselt. Ich übernachte diese Nacht mitten im Dschungel in einem Zelt. Es wird eine gute Nacht, nach einem nur schwer zu übertreffenden Tag.
Morgen muss ich Minca verlassen. Der bekannteste Nationalpark im Norden von Kolumbien wartet auf mich.