17.1.2016
«Welcome to Africa», ruft da so ein Rasta-Typ, noch bevor das Boot angelegt hat. Eine Stunde mit dem Schiff durch den Jungle, und plötzlich sind sie alle schwarz. Sehen aus wie Bob Marley. Ich bin in der Guatemaltekischen Karibik gelandet, in Livingston. Vom Schiff aus siehts aus wie eine Geisterstadt. Macht einen heruntergekommenen, unbewohnten Eindruck.
Livingston selber ist klein. Etwa zweimal Weinfelden. Das Städtchen ist vom nationalen Strassennetz abgeschnitten. Nur übers Wasser zu erreichen. Im Grossteil der Stadt leben die Gerifuna, die Nachkommen der Afrikanischen Sklaven. Vor ein paar Hundert Jahren wurden sie nach Amerika geholt, heute leben sie entlang der Zentralamerikanischen Karibikküste.
Livingston ist dreckig und stinkig. Aber faszinierend! Und es sei «ein raues, kriminelles Pflaster», steht in meinem Reiseführer. Man solle sich in acht nehmen. Ich laufe los, durch das Hauptsträsschen. Plötzlic läuft ein alter Bob Marley-Typ neben mir. Er spricht in einem ausgeprägten Jamaica-Englisch.
Er: «Like Livingston?»
Ich: «Well, havent seen much yet..just arrived.»
Die meisten Touris würden einfach einmal das Hauptsträsschen an den Strand laufen und dann wieder ab aufs Schiff, sagt er mir.
Er: «Wanne See the real Livingston?»
Ich: «…»
Er: «Are you afraid my son? Hey, wtf, this is Livingston, we are chilled people.»
Ich denke an meinen Reiseführer, da steht doch das mit diesem «kriminellen Pflaster».
Ich: «Well, what is the real Livingston?»
Er: «My friend, what are you afraid of? We are to most peaceful people on this f… planet!»
Ich willige ein. Ein gutes Gefühl habe ich dabei nicht. Ich fühle mich naiv, bin aber auch gwunderig. Er sei der Chef des Black-Districts. Er habe sein ganzes Leben an forderster Front für die Rechte der Schwarzen in Guatemala gekämpft. Sie bekämen null Unterstützung, haben keine Rechte. In der Politik hätten sie keine Stimme. Er habe kapitulieren müssen. Er werde aber für das Wohl seiner Leute kämpfen, so lange er atmen könne, sagt er mir.
Kann das sein, läuft da einfach so der «Chief» der Schwarzen in Guatemala an mich heran? Ich kann es nicht so recht glauben, bin aber gespannt was er mit mir vor hat. Ich fühle mich nach wie vor etwas unsicher.
In Guatemala leben 12 Millionen Menschen. Nur eine absolute Minderheit, also etwa 10`000 sind schwarz. Die leben alle in Livingston und Umgebung. Der Staat scheint sich aber tatsächlich nicht um sie zu kümmern. Livingston hat einen spanischen Teil, dort siehts mehr oder weniger so aus wie sonst in Guatemaltekischen Dörfern. Und dann, plötzlich mitten im Dorf, Total-Change. Die Häuser werden farbiger, ihr Zustand aber massiv schlechter.
Schweine und andere Tieren laufen frei herum. Die Häuser werdet völlig unkoordiniert irgendwie Kreuz und quer ins Zeug gebaut. Kirchen gäbe es keine, sagt mir Phil. Auch ja Phil, heisst mein Begleiter. Phil Flores. Es liege finanziell einfach nicht drin, eine Kirche zu bauen. Das sei traurig. Aber, das heisse nicht, dass sie weniger spirituell und religiös seien, betont Phil. Damit seine Community weiterkommt, will er all das Geld, und all seine Energie in die Ausbildung der Kinder stecken. Er habe es geschafft, dass die Kinder in die Schule können, er habe dafür ein Projekt auf die Beine gestellt. Stolz zeigt mir Phil die Schule. Ein Rohbau aus Beton. Ich finde es immer spannender, gleichzeitig wird der Zustand der Häuser immer erbärmlicher. Jedes zweite scheint ein Geisterhaus zu sein. Touris sind hier weit und breit nicht in Sicht. Da leben die Leute in ihrem Dreck. Das Abwasser läuft in einem kleinen Graben an den Häusern vorbei. Überall ist die Musik von Bob Marley zu hören. Die meisten Menschen machen einen karibisch entspannten Eindruck. Phil führt mich aber auch an Typen vorbei, denen ich nicht mal meinen Chugi ausleihen würde.
Die Schwarzen seien ein Fremdkörper in Guatemala. Sie werden nicht beachtet, seien auf sich alleine gestellt. Phil sprach von seiner Vision, von einem Livingston, das einen besseren Lebensstandart hat, als der Durchschnitt in Guatemala. Die Kinder die jetzt endlich eine Schulbildung bekommen, seien die Zukunft. «Sie werden meine Vision umsetzen.» Dass er das nicht mehr erleben werde, sei ihm klar. Phil ist 60 Jahre alt. Eine Stunde hat er mich umhergeführt. «Now, you know Raimond, now you have the chance to be a part of this vision.» Natürlich will er jetzt Geld von mier. Ich bedankte mich grosszügig.
Bin ich wieder ein naives Touriopfer mehr? Oder bin ich da wirklich an den grossen Kämpfer der schwarzen Minderheit in Guatemala gelangt? Oder waren das alles Phantasiegeschichten, um den Touri grosszügig zu machen? Ich frage nach seinem vollen Namen. Philip Flores. Ich google ihn und stosse auf verschiedene Reiseberichte von Menschen aus aller Welt, die genau das Selbe mit diesem Phil erlebt haben. Wäre schön, wenns wahr wäre.